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Von der Schützenstrasse in den Tod

 

Am Donnerstag, 16.Oktober 2014 werden vor der Haustür der Schützenstr. 53 zur Erinnerung an Familie Stenschweski 5 Stolpersteine verlegt.

Fast auf den Tag genau vor 72 Jahren, am 19. Oktober 1942, mussten Isidor Stenschewski, seine Frau und seine drei Töchter in Moabit einen Zug besteigen, der sie nach Riga brachte. Ruth, Helga und Anneliese waren 14, 10 und 9 Jahre alt. Mit ihnen fuhren weitere 954 Menschen, weil sie jüdischen Glaubens und im nationalsozialistischen Deutschen Reich unerwünscht waren.
Für die wenigen hundert Kilometer des 21. Osttransports war der Zug vier Tage unterwegs. Familie Stenschewski erreichte Riga am 22.10.1942. Danach fehlt jedes Lebenszeichen.

Aus den Akten in verschiedenen Berliner Archiven lassen sich einige wenige Fakten rekonstruieren. Isidor hatte vier Brüder: Arno, Moritz, Theodor und Leo. Arno überlebte als einziger: Er verließ mit seiner Frau Auguste 1934 Berlin und wanderte nach Palästina aus. Alle anderen Brüder wurden mit ihren Familien deportiert und ermordet – insgesamt 16 Angehörige.

In Rogasen in Posen am 15.06.1897 geboren, hat Isidor im Viehhandels- und Kommissionsgeschäft seines Vaters gelernt. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat – noch nicht einmal zwanzigjährig. Später hat er in Glogau, Leopoldring 1, ein eigenes Viehhandels- und Kommissionsgeschäft betrieben und dort auch gewohnt. Die Geschäfte liefen gut, mehrere Zeugen schätzten die Einnahmen auf mindestens 1000 – 1.500 Reichsmark monatlich.

Ab 1933, der Machübernahme der Nationalsozialisten, gab es stetige Einbußen. Schließlich wurde Isidor zur Geschäftsaufgabe und die Familie zum Umzug in die Wilhemstr. 9 gezwungen.

1940 ging die Familie ohne nennenswertes Vermögen nach Berlin, wo die Brüder Leo und Theodor schon lange ansässig waren. In der Schützenstr. 53 wohnte die Familie wahrscheinlich zur Untermiete, denn in den Berliner Adressbüchern von 1940 bis 1942 ist sie nicht verzeichnet.

Arno beantragte 1958 von Israel aus bei den deutschen Behörden für seine Brüder Entschädigungs- und Wiedergutmachungsverfahren. Die Auseinandersetzungen im Fall Isidor zogen sich über 12 Jahre hin. Die Berliner Verwaltungen wiesen alle Ansprüche als unbegründet ab, da sie „nicht glaubhaft bewiesen“ seien. Schließlich endeten die Verfahren im Dezember 1970 mit einem Vergleich. Da waren sowohl Arno als auch Auguste schon seit Jahren verstorben.


Hinweis:
Im Deutschen Reich lebten Ende Oktober 1941 noch schätzungsweise 150.925 als Juden definierte Personen. Mindestens  265.000 Juden  waren bis dahin bereits emigiriert. 1941 lebten in Berlin noch rund 66.000 Juden. Insgesamt 61 "Osttransporte" wurden von Herbst 1941 bis Januar 1945 durchgeführt. Mehr als 50.000 Berliner Juden wurden auf diesem Weg deportiert und ermordet.
Ausschnitte aus den Deportationslisten wurden für das Mahnmal „Spiegelwand“ auf dem Hermann-Ehlers-Platz in Steglitz verarbeitet. Zufälligerweise sind auch die Namen der fünfköpfigen Familie Stenschweski, zuletzt wohnhaft in der Schützenstr. 53 darunter.

 

Sabine Davids

Letzte Änderung am: 06.05.2015