Fast ein Jahr dauert der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nun an. Was denken Sie darüber?
Die Gräuel sind offenkundig. Das Elend überdeutlich. Im Rückblick kann ich sagen: Dieser Verlauf war für mich nicht vorhersehbar. Und ich höre, dass es sehr vielen Anderen auch so geht. Das kann man an ganz verschiedenen Dingen aufzeigen: Unlängst las ich vom Nato-Oberbefehlshaber in Europa, dass die Militärs von der schieren Menge der verschossenen Munition überrascht sind. Das hätten sie nicht vorausgesehen. Ein anderes Beispiel: Die Migrationsforscher:innen sagen uns, dass die Fluchtbewegung aus der Ukraine die Größte seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Und auch darauf hat ja niemand vorbereitet sein können. Und wenn wir schon im Rückblick eingestehen, dass wir die Entwicklungen kaum vorhersehen konnten, macht mich das sehr nachdenklich, was die Zukunft anbelangt.
Wie hat sich seitdem die Situation in Ihrer Gemeinde verändert?
Wir haben zwei Wochen nach Kriegsbeginn unser Gemeindehaus zu einer Notunterkunft für ukrainische Geflüchtete hergerichtet. Inzwischen sind hunderte von Geflüchteten bei uns untergekommen. Wir bieten eine Herberge, Verpflegung, Begleitung und Beratung und in begrenztem Umfang auch pflegerische und medizinische Versorgung. Wir machen uns gerne Mühe. Das alles ist nur möglich dank eines großen Einsatzes von ehrenamtlichen Helfer:innen, sowie durch Sach- und Geldspenden. Auch die Landeskirche unterstützt unsere Arbeit durch den Flüchtlingsfonds. Diese Arbeit hat weitreichende Änderungen in unserem Gemeindeleben mitgebracht. Besonders wichtig für mich ist: Wir haben neu verstanden, wie lebenswichtig Gastfreundschaft ist. Im Hebräerbrief gibt es diesen schönen Satz: Die Liebe zu denen, die euch fremd sind, vergesst nicht – so haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. (13,2)
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Ukraine?
Pfarrerin Caroline Marie Göpfert: Frieden. Natürlich Frieden. Von unseren ukrainischen Gästen aber höre ich, dass das nur durch einen Sieg möglich sei. Ich weiß es nicht. Ich meine, auch wenn die Waffen endlich schweigen, werden die Wunden, wird der Schmerz und die Trauer die Menschen in der Ukraine noch über Generationen begleiten.
Ich will noch einmal anders ansetzen: In unserer Gemeinde hüten wir die Asche mehrerer Geflüchteter, die hier in der Fremde gestorben sind. Ihr letzter Wunsch war es, in der Heimat beigesetzt zu werden. Diesen Wunsch möchte ich ihnen erfüllen.
Bianca Krüger/EKBO